Makuladegeneration

Avastin vs. Lucentis: AMD Medikamente

Eine Übersicht zu Avastin & Lucentis finden Sie hier: Avastin vs. Lucentis

10.07.2007 SWR Fernsehen

Quelle: www.swr.de/odysso/-/id=1046894/nid=1046894/did=2258318/ohrc47/index.html

Lucentis contra Avastin

AMD Medikament

An der Augenklinik der Universität Freiburg ist Dr. Hansjürgen Agostini Spezialist für die altersbedingte, feuchte Makuladegeneration, kurz AMD. Eine tückische Erkrankung, von der etwa 430.000 Menschen betroffen sind. Rita Fischer ist eine davon. Sie muss regelmäßig zur Behandlung, sonst droht ihr Erblindung.

Bei der feuchten Makuladegeneration kommt es zum Wachstum von Gefäßen auf der Netzhaut. Austretendes Gewebswasser und Blutungen führen zum Verlust der zentralen Sehschärfe und des zentralen Gesichtsfeldes. Das heißt, in der Mitte des Sehfeldes trübt ein Fleck die Sicht, Linien verschwinden, Konturen werden unscharf. Die Umgebung dagegen ist noch zu sehen.

Behandlung mit Avastin

Bei Rita Fischer ist die Makuladegeneration am linken Auge noch im Anfangsstadium, rechts dagegen schon weit fortgeschritten; die Sehschärfe ist sehr beeinträchtigt. Um wenigstens dem linken Auge die Sehschärfe zu erhalten, wird sie von Dr. Agostini mit Avastin behandelt - einem Medikament das Gefäßneubildung hemmt und die Gefäße abdichtet. Die Untersuchung ergibt, dass es bei der Patientin gegenüber der letzten Untersuchung zu einem erfreulichen Sehschärfenanstieg gekommen ist. Bezogen auf internationale Studien geht Dr. Agostini davon aus, dass Avastin etwa in 70 Prozent der Fälle Stabilisierung bringt, in 30 Prozent der Fälle eine Sehschärfenverbesserung.

Avastin wird direkt ins Auge gespritzt. Seit Jahren setzen es die Augenärzte weltweit ein - obwohl es ursprünglich gegen Darmkrebs entwickelt wurde und nicht für die AMD zugelassen ist. Trotzdem ist es inzwischen weltweit längst medizinischer Standard. Doch damit ist jetzt Schluss. Die Krankenkassen dürfen Avastin nicht mehr bezahlen.

Der Grund: in diesen Tagen wird ein neues Medikament gegen die feuchte Makuladegeneration zugelassen - von der gleichen US-Firma, die auch Avastin herstellt. Dabei handelt es sich um ein verändertes Spaltprodukt von Avastin, enthält denselben Wirkstoff und hilft ebenfalls hervorragend gegen AMD: Lucentis. Das Problem: eine Lucentis Behandlung kostet etwa 1.600 Euro pro Injektion - und damit 40-mal mehr als eine Avastinspritze.

Krankenkassen dürfen nicht mehr zahlen

Reinhold Preißler, einer der führenden Medizinrechtsanwälte in Deutschland erläutert, warum das preiswerte Medikament jetzt nicht mehr von den Krankenkassen bezahlt werden darf: "Das Bundessozialgericht hat den sogenannten 'Off-Label-Use' - das ist die Anwendung von Medikamenten außerhalb des ursprünglichen Einsatzbereichs - zugelassen, allerdings nur unter drei Bedingungen: wenn es sich um eine schwerwiegende Erkrankung handelt, wenn kein zugelassenes Medikament zur Verfügung steht und wenn unter Ärzten Konsens über die Wirksamkeit besteht. Bei Avastin waren alle Voraussetzungen für den Off-Label-Use erfüllt. Mit der Zulassung von Lucentis steht jetzt aber ein zugelassenes Medikament zur Verfügung mit der Folge, dass die Krankenkassen nach der bisherigen Rechtsprechung gar nicht mehr bezahlen dürfen."

Ein Gesetz fern jeder medizinischen Praxis und Vernunft, findet Dr. Armin Scharrer, Präsident der deutschen Augenchirurgen: "Eine Vielzahl von Publikationen bezeugen Wirksamkeit und gute Verträglichkeit dieses Medikaments. Dass die Herstellerfirma selbst kein großes Interesse daran hat, solche formalen Studien in Auftrag zu geben und zu finanzieren, ist - rein ökonomisch gesehen - nachvollziehbar."

Novartis rechnet die Kostenfrage klein

Dieter Goette vom Pharmakonzern Novartis rechtfertigt dagegen die Herstellung des neuen Medikaments und rechnet die Kostenfrage klein: "Lucentis und Avastin sind zwei völlig unterschiedliche Arzneimittel, die auch für unterschiedliche Indikationen zugelassen worden sind. Für Lucentis rechnen wir in Deutschland pro Jahr mit etwa 20.000 Patienten, die unter der feuchten, altersbedingten Makuladegeneration leiden."

Dr. Armin Scharrer, Präsident der Deutschen Augenchirurgen, hält ganz andere Zahlen dagegen: "Auf der Grundlage einer sehr bekannten amerikanischen Prävalenzstudie müssen wir davon ausgehen, dass in Deutschland bei den 43- bis 86-Jährigen, bezogen auf das Jahr 2006, 431.000 Patienten mindestens an einem Auge eine feuchte Makuladegeneration haben und damit für die Behandlung primär in Frage kommen."

Geld sparen angesichts leerer Kassen

Die Rechnung ist einfach: Mit Avastin kostet die Behandlung rund 200 Millionen Euro pro Jahr, mit Lucentis dagegen bis zu sieben Milliarden. Für Prof. Gerd Glaeske, Mitglied im Sachverständigenrat für Gesundheitsfragen, ist das angesichts leerer Kassen ein Skandal: "Mir erscheint es so, dass die pharmazeutischen Firmen mehr und mehr ihre Unersättlichkeit unter Beweis stellen und antreten, die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung zu plündern. Es wird höchste Zeit, dass die gesetzliche Krankenversicherung in Verhandlungen mit pharmazeutischen Herstellern eintreten kann, dass sie möglicherweise sogar Sanktionen ausrufen kann oder dazu aufrufen kann zu boykottieren, wenn solche pharmazeutischen Hersteller unbedingt ihre Gewinne zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung erhöhen wollen."

Schuld ist also der Gesetzgeber. Wir fragen beim Gesundheitsministerium nach, doch dort fühlt man sich nicht zuständig und verweist an die Zulassungsbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut in Langen. Auch dort Fehlanzeige. Verpflichtend seien die politischen Vorgaben. Leicht zu durchschauen, dass bei diesem Spiel die Patienten am Ende die Zeche zahlen.

Uschi Biermann

Alle Sendetermine:
01.03.2007, 22.00 Uhr, Odysso - Wissen entdecken, SWR Fernsehen

Letzte Änderung am: 10.07.2007, 14.15 Uhr